Beschreibung:

XXXVIII, 443 S. Pappband.

Bemerkung:

Der Einband ist berieben, Vorbesitzer Vermerk auf dem Vorsatz mit Tinte, die Seiten sind papierbedingt leicht nachgedunkelt, ansonsten ein sehr gutes und sauberes Exemplar ohne Anstreichungen. Frakturschrift. -- (Auszug:) Anton Reiser' zählt zu den merkwürdigsten Selbstbiographien, welche die deutsche Litteratur aufzuweisen hat. Eine Selbstbiographie, denn die Bezeichnung, welche der Autor, Karl Philipp Moritz, eine der origi-nellsten Erscheinungen unter unseren Schriftstellern, seinem Werke beigab, Ein psychologischer Roman', passt nur zur Hälfte. Das Romanhafte, wenn es über-haupt existiert, tritt hinter dem Historischen zurück ganz bezeichnend hat Scherer unser Werk eine 'ver-steckte Autobiographie' genannt (Litteraturgesch. S. 668) ferner hinter dem Psychologischen, das dem Ver-fasser die Hauptsache war. Beides zu vereinen ist Moritz ausgezeichnet gelungen: das rein Biographische tritt nicht störend hervor und das Psychologische sucht nicht ausschliesslich die Herrschaft zu erringen. Jenes ist anziehend genug, obwohl die Erzählung trotz ihrer vier Bände nur des Verfassers Jugendgeschichte bis zur Zerstörung seiner Hoffnung, Schauspieler zu werden, schil-dert, weil es die vielbewegte Jugend eines interessanten Menschen darstellt mit mannigfachen Hinblicken auf die kultur- und litteraturgeschichtlichen Bestrebungen jener Zeit; dieses ist bedeutsam, weil es den Einblick in eine über-aus charakteristische innere Entwicklung gewährt. Denn Gervinus (Geschichte der deutschen Dichtung, 5. Aufl., Bd. V, S. 190 ff.) wird dem Buche nicht gerecht, wenn er seinem Verfasser vorwirft, 'er gleite zur Selbsttäu-schung über, indem er der Natur durchaus keinen An-teil an seiner Störrigkeit geben wolle, die immer nur die Behandlung der Menschen und die Verhältnisse in ihm gebildet haben sollen.' Zunächst ist gerade Störrigkeit der geringste Fehler in Moritz' Charakter, der eher da durch fehlt, dass er sich den Einflüssen Anderer zu will-fährig zeigt, indem er Gewolltes und Erkanntes aufgibt, sobald es den Wünschen Anderer widerspricht. Sodann aber ist Moritz, wenn er auch seine Schwächen teilweise der verkehrten Erziehung von Eltern und Lehrern schuld-gibt, mehr als er nötig hätte, bemüht, sich selbst als ver-derbt darzustellen, seine Fehler zu vergrössern, Laster zu vermuten, wo wir höchstens Vergehen zu erkennen vermögen. Auch das mag eine Art Koketterie sein, wie sie ja keinem, der eine Selbstbiographie schreibt und veröffentlicht, völlig fremd ist, aber es ist jedenfalls keine von den schlimmen. Ein sehr treffendes Wort über 'Anton Reiser' hat Hettner ausgesprochen (Deutsche Litteraturgesch. des 18. Jahrh. 3. Aufl. Bd. III, Abtlg. 1, S. 414): 'es ist ein Buch von unvergänglicher Anziehungskraft durch die psychologische Tiefe und Poesie in der Darstellung der geheimsten Herzensregungen, durch die herzgewinnende Wahrheit und Frische in der Schilderung des deutschen Kleinlebens, durch den schwärmerischen, idealen Zug, der selbst den schwersten Fehltritten und Irrungen ent-schuldigendes Verständnis und warme Teilnahme sichert. Überall der Zauber einer edlen und schönen Natur, wenn auch einer in sich unfertigen und unklaren.' Wenn Hettner seine Betrachtung mit den Worten anhebt: 'das Buch ist vergessen', so mag diese Vergessenheit nicht blos daher kommen, wie er sagt, 'weil wir mit den Stimmungen und Zielen, aus denen es entsprang, nichts mehr gemein haben' vielmehr können sich die Stimm-ungen bei jeder ernst angelegten und etwas zur Schwer-mut neigenden Natur wiederholen und das Ziel ist kein anderes, als das der harmonischen, der Individualität entsprechenden Ausbildung der Geistesanlagen sondern auch daher, dass das Werk schon seit Jahrzehnten recht selten geworden war. Vielleicht trägt dieser Neudruck dazu bei, das Buch wieder wie ehedem in weiteren Kreisen heimisch zu machen und die grosse Masse der Gebildeten bekannt werden zu lassen mit einem jener tapferen Kämpfer, die mit sich und mit der Welt mutig streiten und nach langem angestrengtem Mühen endlich den Triumph erringen [...].